Wir starten langsam in Indien. Kommen am 24. Dezember 2019 in Jaipur an und werden beide erstmal krank. Erst Joscha, dann Julia. Die erste Woche bewegen wir uns nur zwischen Dachterrasse, unserem Zimmer und den Hochzeitslocations hin und her. Es ist trubelig und laut in Jaipur. Unser Gästehaus ist in diesen ersten Tagen unsere Oase. Angenehm ruhig ist unsere Straße, in der ab und zu eine Kuh vorbeiläuft oder ein Straßenhändler seinen Wagen durchschiebt. Am Ende vom Tag sitzen wir oft auf der Dachterrasse und schauen den vielen Drachen im Sonnenuntergang zu, mit denen die Kinder abends alle über den Dächern gegeneinander „kämpfen“. Immer wieder werden Schnüre gekappt, bis die gegnerischen Drachen vom Himmel fallen. Im Baum sitzen ein paar kleine grüne Papageien, Streifenhörnchen flitzen über die Terrasse und wenn man nicht aufpasst, sind die Affen schneller als einem lieb ist im Gästehaus. Zwischendrin die Hochzeit, die unglaublich bunt, spannend und so ganz anders als bei uns ist. Mit Bollywoodtänzen, Hennamalereien, traditionellen Zeremonien und all den Deutschen in traditioneller indischer Kleidung, wird zwei Tage lang richtig schön gefeiert und gegessen. Aber Indien ist erstmal auch irgendwie viel. Wir tun uns etwas schwer hier anzukommen. Können gar nicht genau sagen warum. Die Euphorie der ersten zwei Wochen ist etwas gedämpft, aber wir starten wieder gesund und freudig in das neue Jahr. Wir fahren mit Lukas und Aastha und ihren Freunden zum Taj Mahal, schauen Jaipur an, sind bei einem Fest im Tempel eingeladen und haben eine schöne gemeinsame Zeit. Nach 1 ½ Wochen sind wir die letzten deutschen Hochzeitsgäste in Jaipur. Mit unseren gepackten Rucksäcken stehen wir am Bahnhof und ziehen weiter. Wieder zu zweit und in unserem Tempo. Stück für Stück. Indien, es kann losgehen!
Wir bereisen fast drei Wochen Rajasthan. Besuchen nach der Hochzeit in Jaipur Jodhpur, Jaisalmer, Udaipur und Bundi. Es ist ein bisschen auf und ab und die Frage “und wie ist denn Indien nun?” können wir irgendwie nicht so recht beantworten. Weil Indien ist manchmal einfach alles. Im gleichen Moment. Laut, schön, dreckig, bunt, hässlich, faszinierend. Nette, hilfsbereite Menschen und die, die dir non stop etwas andrehen wollen - “Where are you from?”, “Oh Germany, nice country!” (Was sie zu jedem anderen Land wahrscheinlich auch sagen), “Come, have a look at my shop”, “Only 200 Rupies”. Unfassbar laut war es vor allem in Jaipur. Alle Autos und Roller hupen ohne Unterbrechung. Wir haben so etwas noch nie erlebt. Durch all das Getummel läuft hin und wieder eine Kuh. Seelenruhig. Sucht sich im nächsten Müllhaufen etwas zu essen. Frauen in wunderschönen bunten Saris neben kleinen Kindern die halb nackt an der Straße wohnen. Indien ist voller Kontraste. Eigentlich ist uns nach Ruhe und Natur. Vielleicht kommt uns deshalb manchmal alles wie Reizüberflutung vor. Aber vor allem Ruhe ist schwer zu finden. Wir flüchten ein paar Mal raus aus den Städten. Leihen uns einen Roller oder Fahrräder. Sehen einfache Dörfer. Kinder die uns freudestrahlend winken und neben unseren Fahrrädern mitrennen. Außerhalb von Udaipur finden wir endlich mal wieder etwas grün. Und in Bundi fahren wir durch karge Stein- und Wüstenlandschaften. Endlich etwas Weite, keine Menschen und hupenden Fahrzeuge. Hin und wieder ein paar Schäfer mit ihren Herden. Ein Freiheitsgefühl kommt auf, wenn wir so auf dem Roller sitzen und selbst entscheiden können wo wir langfahren. Kurz überlegen wir ob wir uns nicht einen eigenen zulegen sollen und damit in den Süden fahren. Zugtickets kaufen klappt manchmal gut, dann wieder überhaupt nicht. In Reiseunternehmen zahlen wir schnell mal das doppelte und online machen die Bus- und Bahnseiten manchmal was sie wollen. Wir sind so oft abhängig von anderen. Das macht es anstrengend. “India no problem!” – ja so ist es irgendwie. In Indien scheint manchmal alles möglich. Oft stehen wir staunend da. Sind fasziniert darüber, wie Dinge funktionieren. Während wir all die Forts und Paläste besuchen, können wir uns vorstellen, wie es früher hier einmal gewesen sein muss. Wir lernen viel, sehen viel, saugen alles auf. Auf unseren Zugfahrten werden wir mit Essen versorgt, müssen alles probieren und bekommen sicherheitshalber noch etwas abgepackt. Wir werden zu unserer Unterkunft vom Bahnhof gefahren, weil die Menschen sich freuen, dass wir in ihrem Städtchen zu Besuch sind. Ein Taxi nehmen? Keine Chance. Das Essen ist als Vegetarier ein Traum in Indien. Wir sehen Kamele, die über die Straße laufen. Finden auch nach einer Stunde Fahrt zum Wasserfall mitten in der Natur die Müllhaufen und überall trinken wir Chai. Ja, wie ist Indien denn nun? Viel, schön und herausfordernd. Manchmal sagen wir, wenn wir Indien schaffen, dann schaffen wir den Rest erst recht.
Wir entscheiden uns Rajasthan zu verlassen und weiter Richtung Süden zu reisen. Wir sehnen uns nach Wärme. Die Nächte waren kalt. Manchmal auch nur um die 6 Grad. Die Unterkünfte ohne Heizung und dafür kalte Steinböden (im Sommer ein Segen, wenn die Temperaturen über 40 Grad werden, aber im Winter …) - da waren wir mehr als froh über unsere warmen Schlafsäcke. Dass wir die direkt in Indien wieder brauchen, hätten wir auch nicht gedacht. Nächstes Ziel Richtung Süden ist Ahmedabad. Ursprünglich nur als Zwischenstopp gedacht, schauen wir, ob wir kurzfristig eine Couchsurfingmöglichkeit bekommen. Wir wollen wieder mehr an und mit den Menschen sein, nicht nur Touriprogramm. Wir haben Glück. Prakash hat Zeit für uns und nimmt uns drei Tage auf. Und was für ein Glück wir haben. Wir hatten ja keine Vorstellung, was Ahmedabad alles zu bieten hat. Die Zeit vergeht wie im Flug. Mahatma Gandhi lebte hier. Wir besuchen sein Ashram, das Salt-House (Museum über Gandhi), lernen viel über die Person Gandhi und die Geschichte Indiens, Julia wird kurzfristig zum Model für ein Online-Mode-Start Up von Freunden unseres Hosts, wir gehen mit ihm und seinen Freunden auf einen indischen Flohmarkt, testen traditionelles Gujaratessen, sitzen im Jacuzzi im Fitnesspark (wie oft haben wir die letzten Wochen abends an ein warmes Bad gedacht …), bewundern früh morgens beim Heritage Walk die Architektur, die alten geheimen Gänge, die Moschee Ahmedabads und essen köstliche Samosas am Straßenrand. Ehe wir uns versehen, sind drei intensive Tage um. Ahmedabad tat uns richtig gut. Zufrieden und dankbar steigen wir spät abends in unseren Nachtzug nach Mumbai ein.
Thank you Prakash for those wonderful days!
.
Wenn die Frau auf dem Dia wüsste,
dass sie nun in meinem Tagebuch klebt
und mit um die Welt reist.
(Flohmarktfund, Ahmedabad)
.
Es läuft Vivaldi. Sanjay, Filmautor, tippt an einem Text. Die Salzlampe leuchtet. Die gegenüberliegenden Balkontüren sind aufgeschoben und ein lauer Sommerwind schwebt durch den Raum. Endlich ist es warm. Joscha sitzt an einem der großen Fenster und raucht. Er und Sanjay trinken Rum, einen Old Munk. Sarita bringt mir ein Rosenwasser. Sie ist Künstlerin. Mit ihr haben wir ihr heute drei Gallerien und ein Museum besucht.
Eine ruhige und warme Atmosphäre umgibt uns. Ein bisschen ist es wie in einer anderen Zeit. Oder wie so ein besonderer Filmmoment. Ich nehme einen Schluck, schaue zufrieden zu Joscha rüber. Es ist gerade sehr, sehr schön hier zu sein.
Ach du liebes Mumbai, was soll ich sagen, es war wunderschön. Statt geplanten zwei Nächten bleiben wir fünf Tage und kommen noch einmal wieder. Dürfen, dank eines Kontaktes einer Mama aus dem Kindergarten, Sarita, Sanjay und Sara kennenlernen und bei ihnen wohnen. Entdecken durch sie das künstlerische Mumbai. Millionenstadt mit TukTuks, hippen Cafés und Streetfood. Obst- und Gemüseständen, Palmen und Slums. Kontrastreich wie überall in Indien, aber mit dem Charme alter Gebäude. Großstadtgetummel, das wir mit Museen, Gallerien, Konzerten, Theater und Kunst entdecken. Für mich ein Traum. Und inspirierend.
Mehr als dankbar, dass sich diese Wege gekreuzt haben, wir diese wunderbare Künstlerfamilie kennenlernen dürfen. Die Zeit fliegt. Die Abende verstreichen zu schnell mit Gesprächen und Lachen. Besondere, herzliche und warme Tage gehen in Mumbai vorüber. Mit ein bisschen Wehmut verabschiede ich mich. Wer weiß, wann wir uns wieder sehen. Indien ist weit weg. Ein kleiner Abschnitt auf unserer Reise, den wir in besonderer Erinnerung halten werden.
Und dann sind wir da gelandet, wo wir eigentlich so gar nicht hin wollten: im Norden Goas, in der Party- und Tourihochburg. Wir sehen mehr Touristen als Einheimische, hippe Cafés und Restaurants, landen auf zwei Psytrancepartys. Im ersten Café das wir besuchen steht als erstes auf der Speisekarte, dass alles mit gefilterten Wasser gewaschen wird. Was? Einfach so Salat und Obst essen? Wir müssen erstmal ankommen, denn das hat in den ersten Tagen irgendwie gar nichts mit dem Indien zu tun, das wir bisher bereist haben. Ein bisschen fühlen wir uns wie in einem anderen Land. Überall laute Goamusik, Palmen, Party und Liegestühle am Strand. Was machen wir hier eigentlich?
Ja und dann sind wir eine Woche geblieben. Lernen Isabelle aus Konstanz kennen, die seit 12 Jahren in Indien lebt, uns zu ihrem Geburtstag einlädt und wir mit ihr die Sonne über dem Meer untergehen sehen. Lernen in unserem Hostel weitere wunderbare Menschen aus der ganzen Welt kennen. Julia kann ModernDance - Kurse besuchen, Joscha die Bars und den Strand genießen und unser Besuch Wayne kann nachts in der Brandung tanzen und seine Musik auflegen. Die Bandbreite an internationalem Essen ist enorm - mitgebracht von all den verschiedenen Menschen aus aller Welt die sich hier niedergelassen haben. Und so lecker. Wir genießen mal wieder Pizza und Pasta, guten Kaffee und Kuchen. Es ist ein bisschen wie Urlaub machen. Auf dem GoaOpenArtsfestival nehmen wir Kunst, Musik und Workshops mit und brechen auf, weiter Richtung Südgoa. Es ist ein bisschen schade, sich im Hostel zu verabschieden. Vielleicht war es so ein klitzekleiner Alltag, sich morgens alle wieder beim Frühstück zu sehen. Noch ganz verschlafen oder direkt von der Party kommend. Wir tauschen Nummern aus. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwo irgendwann einmal wieder.
.
.
.
.
.
.
England, Malediven, Italien, Indien, Afghanistan und Deutschland
- es kann so einfach sein.
.
.
.
.
.
Palolem Beach - voll aber entspannt.
Es ist zehn Uhr abends. Wir sitzen in einem Örtchen nahe des Palolem Beach in Goa und warten an so etwas wie einer Art Bushaltestelle auf unseren Nachtbus nach Hampi. Gegenüber auf der anderen Straßenseite hat noch ein kleiner Shop geöffnet mit Getränken, Chips, Keksen und dem üblichen Kleinkrams, den es immer in diesen kleinen Straßenshops gibt. Unser Bus hat zwei Stunden Verspätung, was aber gar nicht so schlimm ist, denke ich. Trotz der Dunkelheit und der späten Uhrzeit, die mit sich bringt, dass alles andere außer dem Kiosk geschlossen hat, ist doch noch einiges los auf der Straße, was es so zu beobachten gibt. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Alltagsmomenten der Einheimischen zuschauen. Oder scheinbar unspektakuläre Momente einfangen. Wir sitzen unter einem Baum, der von einer kleinen Steinmauer umrundet ist. Joscha sucht das Desinfektionsmittel im Rucksack. Ein Vogel hat seine Hinterlassenschaften auf seinem Arm platziert. Ich mache zum wiederholten Mal den Deckel von der Kamera ab. Wieder hat sich etwas vor dem kleinen Laden verändert. Irgendwie hat er so seinen ganz eigenen Scharm mit dem Licht in der Dunkelheit. Immer wieder kommt noch jemand auf dem Roller, Fahrrad oder mit dem Tuk Tuk vorbei, hält kurz und kauft etwas. Es ist kurz vor Ladenschluss. Die zwei Männer hinter der Verkaufstheke beginnen langsam aufzuräumen und die Rolläden runter zu lassen. In der Straße links des Ladens liegen im Licht der Straßenlaternen einige Kühe. Zwei Männer schieben einen Eiswagen die Straße runter. Mehrmals fahren Lkws vorbei. Wenn sie die Straße abbiegen sehen wir, wie hinten drin lauter Männer sitzen und liegen. Auf Kartoffel- und Zwiebelbergen schaukeln sie wohl dem Feierabend vom Feld entgegen. Der kleine Kiosk hat inzwischen geschlossen. Alle Rolläden sind unten. Es ist ruhiger geworden auf der Straße. Ab und zu bewegt sich eine Kuh vorbei, bleibt vor dem Kiosk stehen. Die Kamera füllt sich mit Bildern. Es ist spät geworden. Im Licht der Laternen stehen drei Männer und reden. Der Bus kommt und kommt nicht. Einzig und allein ein Hund verteidigt laut bellend sein Revier, in dem wir und andere Reisende warten, vor anderen Hunden oder vorbeifahrenden Autos.Besonders die Autos haben es ihm angetan.
Die Kamera ist mittlerweile im Rucksack. Der Shop in mehreren Varianten eingefangen. Wir sind müde. Es ist irgendwann vier Uhr morgens. Wir warten seit fast sechs Stunden. Einer der Reisenden, ein Inder, erreicht jemanden vom Busunternehmen und kann mit ihm in Landessprache sprechen. Oder eher anbrüllen. Er ist ziemlich aufgebracht. Es stellt sich heraus, dass der Bus vergessen hat bei uns zu halten und einfach weitergefahren ist. Er kommt zurück. Halbe Stunde heißt es. Eine Familie mit vier Kindern hat inzwischen aufgegeben und ist zurück zum Hotel. So ganz glauben wir auch nicht mehr dran, aber haben auch nicht so wirklich eine Alternative. Wie sollen wir um die Uhrzeit eine Unterkunft finden die noch auf hat. Tut Tuks fahren keine mehr, was dann auch noch einige Kilometer zu Fuß bedeuten würde. Dann. Der Bus kommt tatsächlich. Die Freude ist bei allen groß. Der Inder ist in der Zwischenzeit dem Bus mit seinem Roller entgegengefahren. Zu unserer großen Überraschung sitzt er nun am Steuer des Busses. Zu unserer noch größeren Überraschung sind unsere gebuchten Plätze bereits belegt, der Bus voll. Wir sitzen ganz hinten unten. (Indische Busse haben richtige Schlafplätze auf zwei Etagen). Zu dritt wie eingepfercht. Es stinkt nach Schimmel und ist eklig. Wayne, eine Freund von uns, der eh schon überlegt seinen Indienbesuch bei uns frühzeitig zu beenden, ist so langsam mit seinen Nerven am Ende. 1o Stunden müssen wir es also in dieser stinkenden Ecke aushalten. Nach fünfzehn Minuten kommt die Erlösung. Wir müssen den Bus tauschen. War gar nicht unser Bus. Er bringt uns eigentlich nur zu unserem Eigentlichen. Hätte uns ja auch mal jemand sagen können. Wir bekommen unsere Sitze, haben Platz und warten darauf, dass der Bus los fährt. Eine weitere Stunde vergeht und auch dies wird nicht der Bus sein, mit dem wir nach Hampi fahren. Es kommt wieder ein anderer. Doch der hatte gegrade einen Unfall. Die komplette Glasfront des Busses ist weg. Ein LKW konnte wohl nicht mehr bremsen. Dem Fahrer ist nichts passiert. Ein Wunder. Ich frage mich, warum er überhaupt noch hier her gefahren ist.
Irgendwann kommt nochmals ein anderer Bus. Wir tauschen ein letztes Mal. Dieses Mal sind wir im Richtigen. Unser Liegeplatz hat ebenfalls kein Fenster mehr. Ein dickeres Holzbrett wurde an der Stelle befestigt. Wahrscheinlich auch mal ein Unfall. Wayne, unser Besuch von Zuhause, hat inzwischen beschlossen frühzeitig heimzufliegen. Er fragt sich, wie und warum wir das noch ein Jahr machen wollen. Diese Busfahrt ist glaube ich der absolute Tiefpunkt seiner Reise mit uns. Und ich bin überrascht, wie Joscha und ich trotz der Müdigkeit und dem ganzen Trubel ruhig bleiben. Es ist inzwischen fünf Uhr morgens und wir düsen über all die Schlaglöcher Richtung Hampi. Der Unfall des vorherigen Bus geht mit bei diesem Fahrgefühl und der fehlenden Fensterscheibe nicht so ganz aus dem Sinn. Ich klopfe drei Mal auf meinen Kopf und denke, hoffentlich kommen wir heile in Hampi an.
Hampi- beeindruckende und zum Teil unwirklich wirkende Steinlandschaft mit Reisfeldern, Palmen und Bananenstauden. Heiße und ruhige Tage in der Natur, mit Rollererkundungen und Abenden voller Grillenzirpen, die mit dem Abschied von Waynes Besuch auf einem Teil unserer Reise zu Ende gehen.
Bangalore stand eigentlich nicht auf unsere Reiseroute. War aber überraschend entspannt und sauber. Unsere Highlights: Der Blumenmarkt, die kleinen Brauereien mit hausgemachtem Bier und dass wir zufällig Shafin von den Malediven im Hostel wieder treffen. Der botanische Garten war dagegen eher ein Reinfall.
Wir sind in Kerala mit Laurie, den wir in Goa kennengelernt haben, verabredet um dort ein paar Tage gemeinsam zu verbringen. Fort Kochi gefällt uns auf Anhieb. Alles scheint ein bisschen langsamer zu sein, es ist aber auch einfach zu heiß um tagsüber groß etwas zu unternehmen. Alte Häuser und Scheunen, die zu kleinen Cafés, Restaurant und Lädchen umgebaut sind. Historische Bauten als Überbleibsel von portugiesischer, britischer und niederländischer Kolonialzeit. Fort Kochi hat Charme. Und ist wieder eine ganz andere Seite von Indien. Ein paar Meter von unserem Hostel ist eine Saftbar, an der wir den Morgen mit einem frisch gepressten Saft starten, bevor es zu unserem Bäcker des Vertrauens geht. Zwei Tage verbringen wir dort, um dann mit dem Kanu durch die Backwaters zu fahren. Auf dem verzweigtem Wasserstraßennetz auf 1900km2 finden wir die lang ersehnten ruhigen Seiten an Indien, sehen, wie der Alltag der Einheimischen in und auf den Wassersstraßen funktioniert. Eigentlich wollten wir danach weiter in den Süden oder ins Hinterland zu den Tee- und Kaffeeplantagen. Aber uns fehlt die Energie für eine weitere Nachtfahrt mit dem Bus oder Zug. Und so beschließen wir alle drei noch einmal zurück nach Fort Kochi zu fahren. Die Saftbar und der Bäcker kennen uns schon und freuen uns, wenn wir jeden morgen vorbeikommen. Es sind langsame und schöne Tage mit Postkartenschreiberei, Reiseplanung und Nachmittagen die liegend auf dem Bett verstreichen. Am Bahnhof spricht uns Mavie an ob wir ein Taxi in die Stadt teilen wollen. Eine Begegnung, die uns in Erinnerung bleiben wird. Wir verfallen nicht in die typische “Woher kommst Du?”, “Wo warst du bisher in Indien?”, “Was arbeitest Du?” Backpackerkonversationen. Nach einer Stunde fragt Mavie lachend, wie wir eigentlich heißen. Er reist seit über neun Jahren. Sein Besitz: Ein Rucksack, eine Ukulele und ein Motorrad. Unsere Wege kreuzen sich zwei Tage mit langen und tiefen Gesprächen. Mit Ruhe, Offenheit und Lachen. Es ist eine intensive und tiefere Begegnung. Momente in denen wir vergessen, dass wir gerade in Indien in einer kleinen Spelunke sitzen, wo die Kakerlake über den Boden krabbelt und wir das dritte Bier öffnen. Momente wo wir spüren, warum wir auf dieser Reise sind.
48 Stunden im Zug - eine unserer entspanntesten Zugfahrten bisher auf unserer Reise. Fast sind wir ja selbst ein bisschen überrascht wie entspannt es war, aber die zwei Tage gingen mit Podcast/Hörspiel hören, aus dem Fenster schauen, Tagebuch aufholen, Basteln, Essen, Doku/Serie schauen, Löcher stopfen im Nu vorbei. Unser Highlight: Pizza IN den Zug bestellen. Wir haben noch einmal mehr ein Gefühl dafür bekommen, wie groß Indien ist. Man hätte vom Süden in den Norden hochfliegen können, wir haben uns zwei Tage Zeit genommen.
Für diese Strecke (Fort Kochi - Delhi) hatten wir eine höhere Klasse gebucht. So sind wir statt 6 Fahrgästen nur 4 in unserer Art „Kabine“ und man kann in das Zugabteil auch nur mit reservierter Sitzplatzfahrkarte, was weniger Menschen bedeutet. In der Sleeperclass kann jeder rein mit einem Generalticket und schauen wo noch Platz ist. So auf unserem Zug von Delhi nach Varanasi. Dort lagen dann die Menschen auf dem Boden bis zur Toilette auf dem Gang und zwischen den Liegen. Als wir uns zum Schlafen hingelegt hatten, setzte sich der ein oder andere auch einfach mal mit dazu. Zwischenzeitlich saßen dann nachts auch mal zwei Leute mit auf der Liege. So wären zwei Tage Zugfahrt sicher anders verlaufen ... .
Es klingt seltsam, aber irgendwie hat uns Indien nach Varanasi geführt. Eigentlich wollten wir hier gar nicht hin. Jetzt sind wir da. Es ist mystisch morgens, wenn die Stadt noch schläft, Pilger sich im heiligen Wasser baden und die brennenden Bestattungsrituale an einem der Ghats am Ganges vollzogen werden. In den kleinen Gassen weiter hinten: Es ist laut, es stinkt und es ist voll. Ein unwirklicher Ort, der so heilig und mystisch ist, aber auch wieder so voller Kontraste mit all den Touristen, dem Alltag der Einheimischen, Kühen und Sadhus. Tod und Alltag liegen hier so nah beieinander wie sonst nirgendwo. Wir haben das Gefühl, noch einmal in das echte Indien einzutauchen, bevor es weiter nach Nepal geht.
Holi – das Fest der Farben in Indien feiern. Auf der Straße mit den Einheimischen und bunten Farben das indische Frühlingsfest erleben. In unserem Kopf die farbenfrohen, ausgelassenen, fröhlichen Bilder des Holi-Festes. Das wäre doch ein schöner Abschluss unserer Zeit in Indien, bevor es weiter nach Nepal geht. Dachten wir. War es auch ein bisschen, aber mehr für Joscha als für mich.
Der Besitzer unseres Guesthouses warnt uns schon vor. Wir sollen aufpassen, sie werden versuchen Euch die T-Shirts zu zerreißen, nicht aus böser Absicht, alles mit Spass, aber es geht etwas wilder zu. Und ich soll nicht weiter als vor die Tür der Unterkunft, aber am besten erst nachmittags raus. Wird schon nicht so schlimm werden, denken wir. Als wir morgens aufwachen, ist das Fest schon voll im Gange. Wir schauen vom Balkon runter. “Happy Holi” ruft man uns im Alkohol- und Bhang Lassi Rausch von den vorbeifahrenden Rollern zu. Die Straße ist nicht voll, aber die Eskalation im vollen Gange. Nüchtern sind wohl gerade die wenigsten. T-Shirts werden zerrissen, laute Musik, Gegröle, ab und zu fällt ein Roller um, Farben werden verteilt, hauptsächlich Männer und Jungs unterwegs und ein paar Nachbarskinder. Wir schütteln lachend unsere Köpfe. Ganz sicher sind wir uns nicht, ob wir runter wollen. Aber wir sind zu viert. Mari aus Schottland haben wir im Zug nach Varanasi kennengelernt und ein Chilene aus unserer Unterkunft schließt sich noch an. Wir schauen mal. Irgendwie wollen wir da jetzt auch mitfeiern und unsere Farben verteilen. Wir kommen kaum einen Meter von der Tür weg. Die erste Gruppe kommt freudig auf uns zu. “Happy Holi” und die ersten Farben werden in die Gesichter geschmiert. “Just one Selfie”! Kein Problem, kennen wir schon. Haben wir die letzten 2 ½ Monate schon Hunderte gemacht. Noch eins mit Julia. Jeder will mal und die ganze Gruppe. Und da sind sie. Die ersten Hände am Po. Und schließlich an der Brust. Es wird etwas unübersichtlich mit all den Selfies. Nach einer Minute Happy Holi auf der Straße stehe ich wieder hinter der Tür. Gut, ich werde wohl heute nicht sehr weit in die Stadt kommen. Unsere Gastgeber schicken mich hoch auf den Balkon. Ich schaue den drei Jungs unten zu. Ich bin etwas verärgert, dass ich jetzt hier oben stehe und nicht mitmachen darf. Vor zweI Tagen war internationaler Frauentag. Traurig, denke ich. Nach etwas Zeit gehe ich wieder runter. Von hier oben zuzuschauen ist mir zu blöd. Sobald eine Gruppe kommt gehe ich vorsichtshalber rein.Wir haben trotzdem Spass und es ist lustig. Joscha feiert irgendwann zwangsweise Bauch frei weiter und gerade die Kinder haben sehr viel Freude, wenn wir uns gegenseitig mit den Farben bewerfen. Aber insgesamt haben wir uns das Fest viel schöner vorgestellt. Wir hören später, dass es in Varanasi wohl immer ziemlich eskaliert. Wahrscheinlich wäre es woanders anders geworden.
Als ob die Uhr danach gestellt wurde, ist nachmittags alles vorbei. Die Menschen sind alle geduscht und laufen in sauberer Kleidung über die gefegten Straßen. Es ist fast, als ob nichts passiert wäre. Ein letzter verrückter Tag in Indien. Happy Holi.
(Was wir hinzufügen wollen: Es war ein sehr kurzer blöder Moment, der mich wütend und traurig gemacht hat. Wegen all den anderen Frauen, die drinnen bleiben und egal wo auf der Welt, noch viel mehr ertragen müssen. Wir hatten viel Freude, haben viel gelacht und mit vielen Einheimischen fröhlich und friedlich gefeiert. Aber nur die Bilder von uns zu zeigen, wie schön bunt wir sind und wie toll wir Holi feiern, möchten wir für diesen Tag nicht. Wir möchten aber auch hinzufügen, und das ist uns auch ganz wichtig zu sagen, dass diese Erfahrung natürlich nicht für alle Menschen in Indien übertragen werden kann. Wir haben sehr viele wunderbare Erfahrungen und Begegnungen die letzten 2 1/2 Monate gemacht.)
An der Grenze angekommen, gestaltet sich der Übergang von Indien nach Nepal anstrengender und schwieriger als gedacht: Das erste Mal auf unserer Reise werden nun auch wir mit Covid-19 konfrontiert. Am Corona-Zelt müssen wir zunächst ein Formular, einen kopierten DIN A4-Zettel, für den wir selbstverständlich bezahlen müssen, ausfüllen, und es wird Fieber gemessen. Soweit alles entspannt. Im Amt heißt es dann: Wir geben Euch den Ausreisestempel, aber dann kommt ihr nicht mehr nach Indien rein. Alle Visa werden ab übermorgen aufgehoben, die indischen Grenzen zugemacht. Die Ausbreitung des Corona-Virus wird von einem Tag auf den anderen nun auch in Asien spürbar. Etwas ungeduldig werden wir gefragt, was wir denn jetzt machen wollen. Damit haben wir nicht gerechnet. Wir sind überfordert mit einer so schnellen Entscheidung, beraten uns in der Ecke. Fahren wir nach Nepal, bedeutet es eventuell, dass wir nur noch mit dem Flugzeug raus können. Da ist dann auch die Frage, wohin wir fliegen sollen, denn wer weiß, welches Land uns überhaupt einreisen lassen würde. Unser Vorsatz, die Reise nur auf dem Landweg weiterzuführen, wäre damit gestorben und unser Visum für Indien ungültig. Bleiben wir in Indien, stehen wir in zwei Wochen an der Grenze zu Myanmar vielleicht vor dem gleichen Problem. Und eigentlich müssten wir bis Ende Mai in Thailand sein, weil uns Freunde besuchen werden. Tausend Fragen und Überlegungen schwirren uns im Kopf herum. Die Beamten werden nach wenigen Minuten ungeduldig. Unser Stresspegel steigt. Wie sollen wir jetzt so schnell ordnen, wie alles weitergeht? Joscha will aus Indien raus. Ich will nicht fliegen. So fest hatte ich es mir vorgenommen.
Während wir uns beraten, kommt ein weiterer Beamter mit neuen Mitteilungen ins Büro: Indien ist ab jetzt dicht. Ab diesem Moment kommt keiner mehr mit deutschem Pass nach Indien rein. Nepal wird jetzt schon ab morgen die Grenze zu machen. Einem anderen deutschen Pärchen, das gerade von Nepal kommt und mit uns im Büro steht, wird die Einreise in diesem Augenblick verweigert. Fünf Minuten früher, und sie hätten noch nach Indien einreisen können. Sprachlosigkeit und Unruhe machen sich auch bei weiteren Reisenden breit.
Unsere Überlegung, eine Nacht an der Grenze zu übernachten und nochmals in Ruhe nachzulesen, Optionen durchzugehen und zu überlegen, fällt nun auch weg. Wir stehen immer noch ratlos in der Ecke des Büros. Die Beamten machen uns Druck, uns zu entscheiden. Innerhalb weniger Minuten eine Entscheidung zu treffen, die unsere komplette Reise umwerfen wird, ist eigentlich unmöglich. Ein paar kurze Stresstränen – ich sehe die Reise auf dem Land dahinschwinden, und dann immer diese Entscheidungen, die aus dem Nichts zu treffen sind – später, entscheiden wir uns für den Ausreisestempel und für Nepal. Wer weiß, wie die Lage in einigen Wochen sein wird. Wird schon alles seinen Sinn haben.
Tschüss Indien.
Hallo Nepal.
„Macht nicht zu viele Pläne, Indien hat Pläne für Euch!“, sagte ein Bekannter zu Julia kurz bevor wir unsere Reise in die Welt starteten. Ein Satz an den wir oft denken mussten. Von den ersten drei gebuchten Zugtickets wurden zwei wieder storniert, sind in Städten und an Orten gelandet wo wir gar nicht hin wollten und irgendwie hatte oft alles seine eigene Dynamik wo es lang ging. Es dauerte eine Weile bis wir angekommen waren. Die ersten drei Wochen haben wir oft darüber nachgedacht, ob wir nicht früher Richtung Nepal fahren würden, wenn wir nicht Besuch bekommen würden. Am Ende waren wir 2 ½ Monate in Indien – verrückt. Wir hätten nie gedacht, dass wir so lange bleiben würden und uns am Ende eher sputen mussten ins nächste Land zu reisen. Uns ist bewusst geworden wie groß Indien eigentlich ist und wie wenig man eine Vorstellung von diesem Land haben kann, wenn man nicht selber dort war. Dass man eigentlich nicht nur ein Land, sondern mehrere bereist. Der Norden ist so anders als der Süden. Die Landschaft, das Essen, die Menschen, selbst die Sprache kann von Bundesstaat zu Bundesstaat variieren. Indien hat uns fasziniert, erschüttert, ermüdet, staunen und wunderbare Tage erleben lassen. Es war anstrengend und schön und manchmal alles auf einmal. Die Kultur und das Leben ist so fern von dem was wir kennen, von dem was wir meinen was richtig ist. Armut und Reichtum liegen so nah beieinander, haben uns viel nachdenken lassen. Indien hat uns viel über uns gezeigt und lernen lassen. Der Norden hat uns am Ende zu den schönen Seiten auch nochmal Energie gekostet und die Aussicht auf Ruhe und wenig Menschen in den Bergen Nepals war genau das richtige. Dennoch sind wir sehr dankbar, dass wir so lange dort waren und so viel erlebt haben. Würden wir wieder hin? Nach den ersten drei Wochen hätten wir wohl eher nein gesagt. Joscha ist sich jetzt immer noch nicht so ganz sicher, ob Indien ihn nochmal sieht. Julia würde schon eher wieder hin. Jetzt hätte man ja eine Ahnung, was einen dort erwartet.