Der nächste Morgen: Wir suchen uns ein Café zum Frühstücken. Der Kellner fragt uns, ob wir das erste Mal in Nepal sind. Joscha erzählt, dass er vor acht Jahren schon mal da war. Wo genau er aber in Pokhara übernachtet hat, weiß er nicht mehr. Als der Kellner das Frühstück bringt, gibt er Joscha eine Visitenkarte und sagt: “Ich kenne Dich! Du hast in dieser Unterkunft übernachtet. Ich habe damals dort gearbeitet!” Und tatsächlich, es ist genau die Unterkunft. Freudig über diese Begegnung und das Wiedererkennen treffen wir uns danach mit einem Bekannten von damals von Joscha. Wir schlendern durch die Straßen und am See entlang und fühlen uns pudelwohl. Nepal empfängt uns mit bestem Wetter, netten Begegnungen, Vogelgezwitscher, Ruhe und den schneebedeckten Bergen in der Ferne und wir denken: Alles richtig gemacht!
211 km, Pass auf 5416 Meter, von Hütte zu Hütte, in 2-3 Wochen.
#letsdothis
Wir sind so klein.
Wo ist Joscha?
Und jeden Abend liegst du müde in deinem Schlafsack und denkst, es kann nicht schöner werden. Und mit jedem Schritt, den du am nächsten Tag machst, merkst du, wie klein und unbedeutend wir für diese friedlichen, schneebedeckten Riesen sind. Mit jedem Schritt und jedem Höhenmeter wird es friedlicher und ruhiger. Nur der Wind in deinen Ohren schaust du hinunter in die Täler und merkst, wie klein und machtlos wir sind.
Endstation Manang. Bis hierhin und nicht weiter. Nach sieben Tagen auf dem Annapurna Circuit hat uns Corona auch eingeholt. Was bisher nur weit weg in Europa war, betrifft uns nun auf einmal auch.
Nepal hat von einem Tag auf den anderen einen Lockdown verhängt. Nichts geht mehr. Alles ist zu. Wir dürfen nicht weiter. Drei Etappen vor dem Pass sitzen wir auf 3500 Metern im Himalaya fest.
Eine Woche ist der Shutdown verhängt. Wir wollen die Woche hier abwarten und dann weiter wandern. Manang war sowieso eine Zwischenstation zum Akklimatisieren. Ob wir ein paar Tage länger hier
bleiben ist für uns egal. Wir haben ja Zeit. Wir bekommen ein richtig schönes Zimmer, mit eigenem Bad und warmer Dusche. Hier können wir es aushalten. Doch schon am nächsten Tag wird klar, dass
es so einfach nicht ist. Dass der Lockdown wahrscheinlich nicht in einer Woche vorbei ist. Und der Pass so schnell auch nicht wieder offen. Ehe wir uns versehen, stehen wir auf einmal vor der
Frage ob wir nach Deutschland zurückreisen sollten. Eine Frage auf die wir keine Antwort haben. Stündlich ändern wir unsere Pläne, gehen mit der Entscheidung ins Bett hier zu bleiben, eine
Ferienwohnung zu mieten und Corona in Nepal auszusitzen. Und wachen am nächsten Morgen mit dem Gefühl auf, vielleicht doch das Rückholprogramm wahrnehmen zu sollen. Wir sprechen mit unserem
Bekannten Hari in Kathmandu, anderen Einheimischen und der deutschen Botschaft. Alle sagen wir sollen gehen. In den Bergen können wir nicht bleiben, alle Touristen müssen aus den Wandergebieten
raus. Und je mehr Zeit und Tage verstreichen, haben auch wir immer mehr das Gefühl, dass wir hier nicht bleiben sollten. Wir haben das Gefühl am Ende mehr zu nehmen als geben zu können.
Ressourcen zu verbrauchen in einem armen Land ohne Gesundheitssystem. Nur weil wir nicht nach Hause wollen, obwohl wir so privilegiert sind und unser Land uns einfach so zurückholt. Wir lernen
Matthias und Lukas, auch aus Deutschland, kennen und tun uns zusammen. Durch den Lockdown ist alles dicht in Nepal. Kein Bus, kein Taxi, nichts fährt mehr. Aber irgendwie müssen wir aus den
Bergen raus.
Wir bekommen ein Schreiben der deutschen Botschaft mit der Bitte a die Polizei Ort, dass wir nach Kathmandu fahren dürfen. Die Polizei organisiert einen Taxifahrer und nach 10 Stunden Fahrt sind
wir dort, wo wir eine Woche zuvor unsere Wanderung gestartet haben. Im Zeitraffer erleben wir noch einmal die ganzen Wandertagesetappen und können es alle vier gar nicht glauben, dass wir jetzt
wieder zurückfahren. Vor ein paar Tagen dachten wir noch wir überqueren den Thorong La Pass, saßen dann auf 3500 Metern fest, fahren alles wieder bergab und sitzen nun im Hotel in Kathmandu fest
und warten auf den Rückflug. Nach einer Woche Ausgangssperre startet schließlich die dritte Rückholaktion aus Nepal und für uns eine Reise zurück nach Deutschland.
Wir sitzen im Flugzeug, es rollt langsam auf die Startbahn. Ich schaue aus dem Fenster. Liebes Nepal, die Zeit war zu kurz. Du hast so gut getan, nach dem lauten, trubeligen Indien. Wie gerne würden wir länger bleiben, weiter im Himalaya wandern, wie gedacht Hari besuchen und bei der Clinic Nepal ein paar Wochen mitarbeiten oder noch Hunderte von Momos essen. Wir kommen irgendwann nocheinmal wieder. Das Flugzeug fängt langsam an zu beschleunigen. Die Stewardessen überprüfen noch einmal die Sicherheitsgurte. Es geht los. Zurück nach Deutschland, aber nicht nach Hause. Denn unsere Reise ist nicht vorbei. Das haben wir uns fest vorgenommen. Sie nimmt jetzt einfach einen überraschenden, unerwarteten, anderen Weg. Und zwar zu Freunden nach Bamberg. Weil wir erstmal nicht nach Hause wollen. Zu schnell ging hier in Nepal alles die letzten Tage und wir fühlten uns damit überfordert, auf einmal in Freiburg in unserem Wohnzimmer zu sitzen. So sind wir erstmal weiter unterwegs und werden sehen, wie sich alles mit Corona in Deutschland und auf der Welt weiter entwickelt. Vielleicht laufen wir von Bamberg nach Freiburg, vielleicht kommt endlich der VW-Bus der ausgebaut werden soll, vielleicht wird es ein Sommer bei all unseren Freunden in Deutschland, vielleicht ja schon wieder durch Europa, vielleicht sitzen wir doch noch in der Transsibirischen Eisenbahn. Wer weiß gerade schon irgendwas. Jetzt wartet erstmal das nächste Abendteuer auf uns. Und zwar dort wo wir es am wenigsten erwartet hätten – in Deutschland. Das Flugzeug hebt ab. Ich nehme Joschas Hand. Druck steigt in meinen Kopf, der sich nach wenigen Sekunden wieder löst. Kathmandu wird unter uns immer kleiner. „Ich hatte ja zu Beginn der Reise schon keine Ahnung, was alles passieren wird“, sage ich zu Joscha. „Aber jetzt, jetzt habe ich wirklich gar keine Ahnung mehr was kommt“.