Nach dem ersten Besuch direkt der zweite Besuch, den wir ebenfalls sehr genossen haben. Als wir noch mit unseren Rucksäcken unterwegs waren, hatten wir so viele Begegnungen und neue Kontakte in
all den Ländern. Jetzt mit Corona sind die sozialen Kontakte sehr gering, wir halten uns zurück. Schließlich reisen wir von Ort zu Ort. Unterkunft und Restaurant ist unser Bulli, Couchsurfen
lassen wir sein. Umso mehr schätzen wir den Besuch von Freunden. Die Zeit hat uns richtig gutgetan. Zusammensitzen, lachen, reden und ein kleines Stückchen unserer Reise gemeinsam verbringen.
Es ist elf Uhr. Sara und David sind seit einer Stunde auf dem Nachhauseweg. Bis jetzt wollten wir eine Entscheidung getroffen haben, wie es weiter geht. Entscheidungen – nicht unsere Stärke. Griechenland ist das Ziel. Gemütlich durch den Balkan tuckern und den Winter in Griechenland verbringen, das war der neue Plan, als wir von Schweden rüber nach Polen sind. Seit einer Woche spielen wir mit dem Gedanken nochmal einen Abstecher über Deutschland zu machen. Freunde von uns sind mitten in einem großen eigenem Projekt und könnten Hilfe mehr als gebrauchen. Wir sind nicht weit weg von der deutschen Grenze, unsere Freunde wohnen in Süddeutschland, wir könnten dann mit der Fähre danach von Italien nach Griechenland. Die kostet aber 300 Euro. Eigentlich nicht drin im Budget. Vor zwei Tagen lesen wir, dass STA-Travel insolvent ist, worüber wir unsere Auslandskrankenversicherung abgeschlossen haben. Wir warten seit drei Monaten noch auf 500 Euro Rückzahlung für Joscha. Eine Einreise in Deutschland würde bedeuten Julia muss die Auslandskrankenversicherung bei STA kündigen, einen Monat freiwillig versichern und dann wieder eine Neue abschließen. Das Geld für die bereits bezahlten Monate von Julia sehen wir dann vielleicht auch nicht mehr wieder. Andererseits wissen wir, wie wertvoll Zeit mit Freunden ist. Die unerwarteten sechs Wochen im Bamberg bei Ruben und Stella hätten wir ohne die Reise auch nie dort verbracht. Wir wollen in Griechenland sowieso in einem Projekt mitarbeiten, dann doch unsere freie Zeit unseren Freunden schenken. Julias Patenkind mal längere Zeit am Stück sehen. Ist uns wichtiger als Geld. Gestern Nacht lesen wir Ungarn macht in zwei Tagen alle Grenzen zu. Geht das wieder los. Kennen wir schon aus Indien und Nepal. Bald sind die Schulferien rum, machen vielleicht noch mehr Länder wieder ihre Grenzen dicht? Wenn wir jetzt vier Wochen in Deutschland verbringen, kommen wir dann vielleicht nicht mehr weiter? Dann wären wir ziemlich nah an Zuhause dran. Freiburg wäre nur 1 ½ Stunden entfernt. Unsere Köpfe rattern.
Eigentlich würden wir gerne einfach nur unsere Freunde für ein paar Wochen sehen, ihnen helfen und wieder abdüsen. Wäre das schon wieder eine zu starke Unterbrechung der Reise, des Unterwegs seins, so nah an Zuhause zu sein? Eigentlich ja auch nur Kopfsache. Unser Gefühl hat die letzten Tage jeden morgen etwas anderes gesagt. Wenn Griechenland, dann auf dem direkten Weg. Schnell noch durch Ungarn durchhuschen und den Balkan leider auslassen. Wenn nochmal Lockdown, dann mit verlängertem Sommer und am Strand. Heute wollen wir entscheiden. Aber genau heute hat jeder ein anderes Gefühl.
Es ist inzwischen 13 Uhr. Wir entscheiden uns für die Reise. Es geht direkt nach Griechenland.
Zettel die gerne morgens am Fenster hängen dürfen, wenn wir aufwachen.
Wenn wir mit unserem Bulli so durch die Dörfer und Städtchen tuckern, winken uns so oft die Leute zu oder sprechen uns an. Sagen uns wie toll sie den Bus finden oder fragen wie alt er ist. Wir
sehen so oft wie die Leute sich freuen, wenn wir an ihnen vorbeifahren. Wie sie auf uns zeigen und dann miteinander sprechen oder sich nochmal umdrehen. Und wir? Können es manchmal selber kaum
glauben. Haben wir uns doch immer selber bei jedem alten Bus umgedreht und immer gesagt „Oh schau mal, schnell! Ist der schön!“ Oder reingespickelt wenn irgendwo einer an Straßenrand stand. Und
jetzt sitzen wir selber drin und winken von der anderen Seite zurück.
Der Tage würde kommen. Es war nur eine Frage der Zeit. Bis nach Griechenland schaffen wir es noch, dachten wir. Aber dann wurden die Geräusche auf einmal doch zu laut auf der serbischen
Autobahn. Also rechts ran bei der nächsten Raststätte. Es ist zehn Uhr abends, wir sind etwas mehr als eine Stunde hinter Belgrad. Ein Abschleppfahrzeug hat uns gerade überholt und Lichthupe
gegeben. Er steht hinter uns und fragt ob wir Hilfe brauchen. Er kennt eine Werkstatt nicht weit entfernt, der Besitzer spricht Deutsch. Wie praktisch, denken wir. Eine Minute später haben wir
ihn am Telefon, er ist unterwegs. Wir recherchieren noch eben, wie das so abbläuft mit dem ADAC in Serbien. “Achtung Balkanfalle”, “Abzocke”, “Abschleppfahrzeuge warten schon auf Urlauber an der
Raststätte”, “Betrügermasche”. Mmh ok. An so etwas haben wir jetzt überhaupt nicht gedacht. Ja schon komisch, dass da direkt ein Werkstattfahrzeug ist. Muss ja aber auch nicht sein. Erstmal
vom Guten ausgehen. Wir telefonieren mit dem ADAC, die sagen uns, worauf wir achten sollen. Kann bis zu drei Stunden dauern. Der Werkstattbesitzer kommt keine 15 Minuten später. Er ist
tatsächlich von einer Vertragswerkstatt des ADACs, hat unsere Daten. Kairo kommt auf das Abschleppfahrzeug und wenig später stehen wir in der Werkstatt. Turbolader und Motor sind in Ordnung,
sie können erstmal nichts finden. Es ist inzwischen nach Mitternacht, Sonntagabend. Morgen früh schauen sie weiter. Wir schlafen über der Werkstattgrube mit Blick auf den nackten
Frauenkalender. Werkstattklischee erfüllt.
In der Nacht kommt noch ein zweites deutsches Auto an. Die deutsch-türkische Familie auf dem Heimweg lernen wir am nächsten Morgen kennen. Der Sohn redet nicht mehr mit dem Vater. Er ist sauer.
Für ihn war es das letzte Mal, dass die Familie von Deutschland in die Türkei mit dem Auto runter fährt. Nach einer kurzen Fahrt mit Kairo und dem Werkstattbesitzer steht fest, die Radlager
sind kaputt. Die hatten wir natürlich nicht auf dem Schirm. Die wurden vor Antritt der Reise erst neu gemacht. Es ist 8:30Uhr, die Ersatzteile kommen um 14Uhr. Also erstmal Frühstücken.
“Kommt wir holen richtiges Brot”, sagt der Werkstattbesitzer zu uns, als wir unsere Frühstückssachen aus dem Bus holen. Wir fahren zum Bäcker und auf den Markt. “So etwas bekommst du in Deutschland nicht”, sagt er zu uns während wir einkaufen. Julia muss schmunzeln. Das kennt sie schon von Saras Papa. Der ist ausgrechnet jetzt nicht in Serbien. Sein Dorf wäre nur eine gute halbe Stunde von der Werkstatt entfernt. Ach schade, dass wir durch Serbien nur durchfahren werden. Der kleine Marktbesuch hat uns schon richtig gut gefallen. Das Brot ist der Hammer. In der Werkstatt sind in der Zwischenzeit zwei Jungs aus dem Kosovo gelandet, ebenfalls auf dem Heimweg nach Deutschland. Sie sagen zu uns, sie haben gebetet nicht in Serbien stehen zu bleiben. Der türkische Familienpapa weiß nicht was er machen soll. Der Preis für seine Reparatur ist viel zu hoch, alles Gauner sagt er. Der Werkstattbesitzer meint zu uns die Türken wollen alles immer nur billig und mit dem Leuten aus dem Kosovo macht man die schlechtesten Geschäfte. Wir schauen uns schmunzelnd an, das kennen wir schon. Am Anfang der Reise hatten uns auch immer alle gewarnt. Die Rumänen sagten passt auf vor den Türken, die Türken warnten uns wieder vor den Georgiern und so weiter. Die Ersatzteile sind eingetroffen und werden nach unzähligen Kaffeepausen, die serbische Werkstatt geht es gemütlich an, ausgetauscht. Der Familienpapa lässt auch reparieren. Er hat eigentlich keine andere Wahl, sonst kommt er nicht heim. Das weiß auch der Werkstattbesitzer und kann im Prinzip verlangen was er will. Der ADAC lässt erst nach Hause transportieren, wenn nach drei Tagen nicht repariert werden kann. Die zwei anderen Jungs sind auch nicht bester Stimmung und führen ein wütendes und aufgebrachtes Telefonat mit dem ADAC, nachdem der Besitzer dem ADAC völlig cool gesagt hat, dass er alles reparieren kann. “Ich kann bis morgen Nachmittag fertig sein, kostet 800 Euro”. Wir vergewissern uns nochmal preislich bei unseren serbischen Bekannten, die gerade alle in Deutschland sind.
Wir zahlen wahrscheinlich zwischen 100 bis 200 Euro mehr, Vertragswerkstätten sind meistens teurer. Wären sie vor Ort, wäre der Preis wahrscheinlich niedriger. 50 Euro weniger und einen Ölwechsel können wir noch raushandeln. Die Werkstatt macht ihre Arbeit gut und hat Ahnung von VW-Bussen – auch nicht selbstverständlich. Gegen frühen Abend, kurz nachdem sich die deutsch-türkische Familie auf dem Heimweg macht, sitzen wir auch wieder im Bulli und tuckern Richtung Bulgarien. Angenehm leise ist es auf einmal bei der Fahrt. Der Bus fährt wieder 1a. Wir sind zufrieden. Irgendwie wieder so ein verrückter Tag. Die kommen immer dann, wenn man sie am wenigsten erwartet. Aber von denen wird dann auch erzählt. Und so haben wir doch noch ein kleines Stückchen Serbien auf der Reise mitgenommen und eine weitere Geschichte.
Wir kommen in Bulgarien an. Es war ein heißer Tag. Für die Einreise nach Griechenland brauchen wir einen negativen Covidtest, aber die Teststelle hat schon zu.
Wir suchen etwas zum Abkühlen und finden in der Nähe ein paar heiße Quellen. Immerhin Wasser. Am Straßenrand kurz davor wird Obst, Wein und Eingemachtes verkauft. Später ein Weinchen in der heißen Quelle - klingt verlockend. Wir bekommen alle Sorten zum Probieren. Das vierte Probiergläschen leere ich in einem Zug. Diesmal war es Schnaps. Ich habe wohl falsch verstanden, was darin ist. Wir nehmen den warmen Blaubeerwein mit, und ich merke den Schnaps schon, ehe wir wieder am Bus sind.
Ab zehn haben wir die Quellen fast für uns allein. Vereinzelt sind noch ein paar Leute am Baden. Milo spricht uns an. Er hat gehört, dass wir Deutsch sprechen. Er lebt und arbeitet seit einiger Zeit in der Schweiz. Gerade ist er zu Hause in Bulgarien. Wir sagen ihm, wie schön wir es hier finden. “Glaubt nicht alles, was in den Nachrichten steht”, sagt er zu uns. Wir fragen ihn, ob er uns noch irgendetwas in der Gegend empfehlen kann. “Meine Eltern haben ein Restaurant, kommt morgen vorbei. Hier ist meine Nummer, dann kann ich Euch ein paar Tipps geben”.
Wir fahren am nächsten Tag auf einen Kaffee vorbei. Von seiner Mama bekommen wir direkt ein Glas selbstgemachte Marmelade geschenkt. Milo zeigt uns einen Wasserfall ein Stückchen weiter weg. Und die beste Wasserquelle. Wir reden über die Schweiz, Bulgarien, das Arbeiten. Er erzählt uns von den Grenzkontrollen, wenn er mit dem Auto nach Bulgarien fährt. Wie ihm die zwei Schweizer Taschenmesser, die er als Geschenke mitgebracht hat, an der bulgarischen Grenze einfach abgenommen wurden. Die Zollbeamten werden sie weiterverkaufen. Schmiergeld hatte diesmal nicht geholfen. Ähnliches hat uns ein Tag zuvor der türkische Familienpapa in der serbischen Werkstatt erzählt. “Immer ein paar Scheine dabeihaben, sonst durchsuchen sie zwei Stunden dein Auto.” Wir überqueren die gleichen Grenzen wie sie, nur mit einem anderen Pass. Das macht den Unterschied. Einmal ein Blick in den Kofferraum, sonst wurden wir bis jetzt immer durchgewunken.
Wir essen im Restaurant der Eltern noch zu Abend. Ein Freund der Familie kommt zu uns an den Tisch und schenkt uns einen Sack Äpfel aus seinem Garten. Wir dürfen auf dem Parkplatz unter den Bäumen übernachten. Wir frühstücken am nächsten Morgen noch dort. Es waren alle so nett zu uns, so haben sie immerhin zwei Frühstücksgäste. Wir wollen zahlen, aber Milo winkt ab. “Wenn ich mal in Freiburg bin, dann trink‘ ich einen Kaffee bei Euch”. Wie so oft auf unserer Reise.
In Tschechien war durch unsere Freunde jeder Abend in bester Gesellschaft, das Riesengebirge war wie der Schwarzwald zuhause und in Prag waren wir nicht das letzte Mal - was für eine schöne
Stadt! In Serbien haben wir das beste Brot gegessen und in der Werkstatt übernachtet. In Bulgarien haben wir in heißen Quellen gebadet, eine Schildkröte von der Straße gerettet und die besten
Tomaten gegessen. Es war ein kleiner unerwarteter Schnelldurchlauf. Eigentlich wollten wir gemütlich durch Osteuropa und den Balkan reisen. Immer Stück für Stück. Langsam unterwegs sein war immer
der Gedanke unserer Reise. Und irgendwie funktioniert es bei uns einfach nicht so ganz. Mittlerweile können wir drüber lachen. Es war ein bisschen als ob die Länder uns noch ein Stückchen von
sich mitgeben wollten. Abgeschleppt auf der serbischen Autobahn, damit wir nicht einfach so durchfahren. Oder Milo der uns noch einen Hauch bulgarische Welt mitgibt. Ach der ganze Balkan, der
hätte uns so richtig gut gefallen. Das haben wir gleich gemerkt, als wir auf dem serbischen Markt standen. Ungarn hatte die Grenzen von einem Tag auf den anderen zu gemacht und uns verunsichert.
Vielleicht hätten wir gar nicht so schnell sein müssen, vielleicht haben wir etwas “überreagiert”. Aber unser Gefühl hat immer Griechenland gesagt. Lieber so schnell wie möglich. Ja und da sind
wir jetzt seit einer Woche. Mit Blick aufs Meer, Sand unter den Füßen und heißen Sonnenstrahlen die auf der Haut kitzeln. Da ist er nun, der lang ersehnte Sommer. Und den restlichen Balkan?
Könnte man ja auch auf dem Rückweg noch mitnehmen. Aber darüber machen wir uns jetzt noch keine Gedanken, sondern springen lieber wieder ins Wasser.